1. Amsterdam, ich komme


    Datum: 14.08.2017, Kategorien: Erotische Verbindungen,

    Distanz in Tims Blick, und die ersten blöden Witze über sie. Wir waren dennoch in dieser Konstellation losgefahren. Tim war schließlich unser Freund, ohne den wir nicht fahren wollten. Ohne Tim, der sich zwei Wochen vor der Fahrt den linken Arm gebrochen hat und auf der Reise einen leichten, unkomplizierten Gips um den Unterarm trägt, blättert in einem Buch von T.C Boyle, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Wir finden, dass er sich damit von seinem Vater abgrenzen will, dem Autoverkäufer, dem Proleten. Sein größtes Ziel ist ein Medizin- oder Jurastudium in Hannover mit dem Geld seines Vaters. Bastian betont gerne, dass Tims Unterhose mehr kostet als mein gesamtes Outfit. »Das war ein Scherz, Sonja«, sagt Tim, schlägt sich mit der freien Hand an die Stirn und zieht eine Grimasse. »Dafür gibt es Sechserabteile, vor allem in Schlafwagen. Ist doch super«, sagt Bastian. So kenne ich ihn. Loyal, nie auf Streit aus. Lange Jahre war Bastian mein einziger Verbündeter. Immer auf der Suche nach dem Mädchen, das ihm gefiel und dem er sich anvertrauen konnte. Genauso erfolglos wie ich, genauso wählerisch, genauso einsam. Zusammen gehen wir jede Woche ins Kino oder gucken nächtelang Video. Anschließend reden wir nicht über die Filme, das brauchen wir nicht. Wir verstehen uns wortlos. Meine Mutter kam einmal sogar in mein Zimmer, um zu sehen, was wir so trieben. Nichts, natürlich, außer Video gucken. So ein Quatsch, als ob ich jemals mit Bastian irgendetwas treiben würde. Ich mag ...
    Bastian wie einen Bruder. Wir waren eines Abends bei Tim auf einer Party und hatten die Nacht durchgemacht. Morgens saßen wir im Arbeitszimmer von Tims Vater auf unseren Schlafsäcken und quatschten über Mädchen. Wir hatten beide Beulen in den Unterhosen. Nichts passierte. Was wir so treiben. So ein Quatsch. Wir waren Leidensgenossen. Mehr nicht. Bis zu dem Sommer vor einem Jahr, als er Nicole fand. Sie wohnt bei ihm um die Ecke. Das ist sehr bequem. Manchmal glaube ich, diese Bequemlichkeit spielt eine größere Rolle als ihr Charakter, ihr Aussehen oder ihre Liebe. Aber das streitet Bastian ab. Nur einmal hat er mir nach einer dieser Fragen Neid vorgeworfen, weil er eine Freundin hat und ich nicht. Dabei gönne ich ihm sein Glück mit Nicole wirklich. Der Zug rattert über eine Weiche, schwankt, lärmt. Jemand reißt die Tür zum Abteil auf. Ein verpeilt aussehender Typ mit langen Haaren und Grungebart lässt seinen Blick über die sechs belegten Plätze gleiten. Wie zugedröhnt musst du sein, um nicht schon vom Gang aus zu sehen, dass hier kein Platz mehr ist. Wortlos schließt er die Tür wieder, zu schwungvoll, denn sie springt wieder auf. Im Gang raucht jemand. Bastian beschwert sich und zieht die Abteiltür zu. Ich habe nicht gedacht, dass wir mal zusammen in den Urlaub fahren. Doch es ist die einzige Rettung in diesem Sommer. 31 Tage lang muss ich nicht die Stufen zu unserer kleinen Wohnung in der vierten Etage in der hässlichsten Wohnsiedlung von Schnedigheim nehmen, mich nicht in mein ...
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