1. Amsterdam, ich komme


    Datum: 14.08.2017, Kategorien: Erotische Verbindungen,

    1. Die Tür zu unserem Abteil öffnet sich für den ersten Schaffner, dem wir auf dieser Fahrt unsere Tickets zeigen. Niedersachsen ist am Ende, nächster Halt Amsterdam. Kaum ist die Tür wieder zu, grinst mich Nicole an. »Ich glaub das ja immer noch nicht, dass wir tatsächlich unterwegs sind«, sagt sie aufgeregt. Sie sitzt so aufrecht in ihrem Sitz, als hätte sie ein Brett im Rücken. Ihre kurzen dunkelblonden Haare hat sie hinter die Ohren gestrichen. Wenn sie grinst, bekommt sie ganz schmale Augen und einen breiten Mund, die Lippen fest zusammengepresst. Ich denke dabei immer an Meg Ryan. Unter ihrer dunkelgrünen Windjacke blitzt weiße Schrift auf einem grauen T-Shirt. who killed Laura lese ich. Links fehlt I know und rechts Palmer. Das Bekenntnis des Spielverderbers auf ihrem T-Shirt wird besonders bei den Wörtern who und Laura in die Breite gezogen. T-Shirt. Habe ich genug dabei? Ein wenig zu spät, darüber nachzudenken. Sieben T-Shirts für vier Wochen. Wenn ich jedes T-Shirt zwei Tage anziehe, muss ich erst in Madrid waschen. Bei Unterhosen und Socken passt die gleiche Rechnung. Eine Jeans, zwei Shorts, Badelaken, Händehandtuch, und voll ist der Rucksack. Im Gang vor den Abteilen trampeln sich die zugestiegenen Fahrgäste beinahe über den Haufen. Nicht wenige tragen große Rücksäcke, Schlafsack oben, Zelt unten, Trinkflasche in der Seitentasche, Schuhe mit den Schnürsenkeln an den Laschen festgebunden. Vor dem halb heruntergezogen Fenster knattert der Wind. Unseren ersten Tag ...
    auf Achse habe ich mir anders vorgestellt, mit Sonne und blauem Himmel, Hitze und Alkohol. Sollten wir nicht ein paar Bier öffnen? Michael hatte versprochen, einen Sechserträger mitzubringen, für jeden ein Bier, um auf die große Fahrt anzustoßen. Doch es scheint, als habe uns der Regen auch die Lust auf Bier vermiest. »Wir haben es uns auch unheimlich leicht gemacht«, sagt Michael. »So können wir immer die Sechserzimmer in den Jugendherbergen mieten.« In seiner Stimme liegt unangebrachte Ironie. Er ist schließlich im Dezember als letzter zu unserer Gruppe gestoßen und hat unsere Gruppe erst so groß gemacht. Aber zu fünft hätten wir es auch nicht leichter. Michael dreht selber, raucht Kette, hält einen Mercedes schlicht für ein Fortbewegungsmittel und schwärmt von der sozialistischen Revolution. Sein Vater ist Abteilungsleiter bei einem der größten Arbeitgeber in Schnedigheim, einem Zulieferer für die Automobilindustrie. Michael hat stets einen blöden Spruch auf den Lippen und lässt seine Hemden immer offen, damit man seine behaarte Brust unter dem tief ausgeschnittenen T-Shirt besser sehen kann. Manchmal glaube ich, er fährt am Wochenende nach Hamburg in die Hafenstraße und schmeißt zusammen mit Hausbesetzern Steine auf die Polizei. Er hat trotz seines proletenhaften Verhaltens immer etwas Elitäres, Distanziertes. Er redet nicht viel und in seinem Schweigen erahne ich abgrundtiefe Verachtung für die pubertären Spielchen in unserem Jahrgang. Ich bewundere ihn manchmal für seine ...
«1234...13»