1. Hotel


    Datum: 07.10.2016, Kategorien: Erotische Verbindungen,

    Vorplatz des Bahnhofes ist atemraubend. Ich stütze die Ellenbogen auf die Fensterbank, schließe die Augen, lausche dem Lärm. Als ich die Augen wieder öffne, saugt sich mein Blick an einem älteren Paar fest, mit Koffern beladen schiebt es sich durch das Menschengedränge, sie umklammert den Arm des Mannes, eng an ihn gedrückt folgt sie ihm, ich schaue den beiden hinterher, bis sie in der Ferne verloren gehen. „Verloren gehen", murmele ich in Gedanken, „verloren gehen, verloren, verlieren, sich verlieren", ich seufze und schließe die Fenster. Im Erdgeschoss des Hotels befindet sich eine Bar, eine kreisrunde Theke, dunkelbraune Ledersessel – und sofas, etwas abseits ein Klavier mit einem rotbezogenen Hocker davor. Auf der Bar steht ein Bonbonglas, ich stecke mir eines in den Mund, Zitronengeschmack, Speichel sammelt sich in meiner Mundhöhle und erinnert mich daran, dass ich noch nichts gegessen habe. Ich fahre mit dem Zeigefinger über das glatte Leder der Barhocker, noch dreieinhalb Stunden. Ich folge der Menschenmenge, lasse mich von ihr vorantreiben, bleibe an roten Ampeln stehen, gehe bei grün weiter. In einem Stehcafé trinke ich eine Tasse Kaffee und esse ein Rosinenbrötchen, mein Magen wehrt sich gegen die Nahrung, ich zwinge sie ihm Happen für Happen auf. Ein dunkelhaariger Mann wirft mir verstohlene Blicke zu, mein Bauch schlägt einen Purzelbaum, mein Herz klopft mir bis in den Hals. „Zu früh, viel zu früh", denke ich und entspanne mich ein wenig. Ich steige in die ...
    U-Bahn, die Strecke ist mir vertraut, ich bin sie bereits öfter gefahren, aber noch nie alleine und noch nie mit so einem seltsamen Gefühl, noch nie so nervös, noch nie so erregt. Das Wasser im Hafenbecken ist grau wie Stahl und unruhiger als ich es in Erinnerung habe. Es ist kühl, ich fröstele, aber halte mein Gesicht in den ewig währenden Wind. Eine Weile beobachte ich die Schiffe und Boote, die scheinbar vollkommen ohne System hin- und herschippern. Auf einem rostigen Treppengeländer findet eine Möwenversammlung statt, sie drehen mir den Rücken zu und flüstern miteinander und für einen Moment fühle ich mich ertappt und bloßgestellt. Ich schiebe die Hände in die Jackentaschen und fahre mit der nächsten Bahn zurück ins Hotel. Noch eineinhalb Stunden. Vor den Türen und Fenstern des Hotels dämmert es. In der Bar flammen gedämpfte Lichter auf, der Barkeeper reiht Gläser und Flaschen auf, stellt Aschenbecher bereit. Ich setze mich, wie verabredet, auf einen Barhocker direkt an die Theke. Der Barkeeper reicht mir Feuer, als ich eine Zigarette aus der Packung fingere. Ich lasse mir einen Kaffee reichen, keinen Alkohol, nein, alles, was heute geschieht, soll mit klarem Kopf und mit klaren Sinnen geschehen. Ich ertappe mich, wie ich unentwegt die Türe anstarre, drehe ihr den Rücken zu und starre stattdessen auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand, beobachte den Sekundenzeiger auf seinem immer gleichbleibenden Weg. Hinter mir ertönt das Stakkato eines Damenschuhes, ich lausche dem ...
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