1. Rameaus Geburtshaus


    Datum: 23.05.2017, Kategorien: Erotische Verbindungen,

    gegenüber am Fenster eine sehr korrekt gekleidete Dame, etwas älter als ich, die auf meinen Gruß beim Betreten des Abteils etwas Unverständliches gemurmelt hatte und seitdem ohne Unterbrechung in der Frankfurter Allgemeinen las. Auf ihrer Seite am Gang saß ein Herr in den Fünfzigern, Typ Geschäftsmann, der immerhin ein halbwegs freundliches "Guten Morgen!" gesagt und illegal die drei noch freien Plätze mit seinen Schriftstücken belegt hatte, die er fortwährend umsortierte. In Bremen stieg ein freundlicher Herr zu, ebenfalls etwas älter als ich, ebenfalls Typ Geschäftsmann, der gleich ein freundliches " Bonjour -- Guten Tag!" sagte und rhetorisch fragte: "Hier ist doch Platz dreiunddreißig?" Das war der Platz neben mir. Der Herr verstaute seine Reisetasche in der Ablage, der Herr mit den Papierhaufen machte den Platz frei, und der "Neue" setzte sich neben mich. Er war offenbar auf Kommunikation aus. Nach einigen Schweigeminuten stellte er sich als "Gaston Durand" vor und fragte in die Runde: "Wo fahren Sie denn hin?" Die betont korrekt gekleidete Dame murmelte etwas, worin ein x vorkam; wahrscheinlich meinte sie Luxemburg. Der ältere Geschäftsmann sagte deutlich und freundlich: "Köln" und ich "Dijon". Damit war es um die Ruhe im Abteil geschehen. Herr Durand strahlte über das ganze Gesicht und sagte: "Das ist ja wunderbar! Ich fahre nämlich auch nach Dijon; ich wohne da. Und weswegen fahren Sie in unsere schöne Stadt?" "Rameau -- Jean-Philippi Rameau, der ist doch in Dijon ...
    geboren --?" "Ja, natürlich -- lieben Sie Musik?" "Sehr sogar -- besonders die alte." "Das kann ich mir denken, wenn jemand dem alten Rameau nachfährt." "Mein Mann kann dieses Jahr keinen Urlaub nehmen, und da hab ich beschlossen, mir mal eine Woche Dijon anzusehen." "Ein sehr guter Entschluß -- Sie werden es bestimmt nicht bereuen." "Das hoffe ich -- ich fahre gern in die nicht allzu großen Städte -- Paris, da versteht man doch gar nichts vom Stadtorganismus, da muß man jahrelang leben, um überhaupt ein Gefühl für die Stadt zu bekommen, nicht nur Museen ansehen." "Da haben Sie wohl recht -- natürlich sollte man einmal im Leben Paris gesehen haben", meinte er als französischer Patriot wohl sagen zu müssen, aber er fuhr gleich fort: "Aber natürlich ist Dijon und überhaupt die Bourgogne viel schöner als Paris." Die ganze lebhafte Unterhaltung -- die Dame am Fenster sah in immer kürzeren Zeitabständen indigniert von ihrer FAZ auf -- lief fast ohne ein einziges französisches Wort; Herr Durand sprach Deutsch fließend mit sympathischem leichtem französischem Akzent und fast ohne einen Fehler. Ich fragte ihn: "Herr Durand, woher können Sie denn so prima deutsch?" "Ach so, ja, das hatte ich ja noch nicht gesagt: Ich bin Lehrer --" "Wie bitte: Was sind Sie?" "Lehrer --" "-- und ich hatte gedacht, Sie seien Geschäftsmann --" "Da haben Sie sich geirrt, liebe Dame [sic!], ich bin wirklich Lehrer für Deutsch und Englisch in Dijon. Wir arbeiten im Lehrer- und Schüleraustausch mit einer Bremer ...
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