1. Ausgeliefert


    Datum: 17.02.2017, Kategorien: BDSM,

    Fünf Minuten bevor der Zug ankommt, geht Johanna auf den Gang. Sie sieht aus dem Fenster. Wiesen, Kühe, Bäume -- eine bereits unwirkliche Welt fliegt an ihr vorüber. Ihre Hände klammern sich an den Haltegriff. Sie ahnt bereits die schwarzen Ledermanschetten an ihren Handgelenken. Sie sieht sie vor sich, fühlt ihren Druck. Sie zieht ihre Hände von der Stange. Schüttelt sie unwillkürlich und denkt: Noch nicht, noch kann ich sie von allem lösen, woran sie sich halten. „In wenigen Minuten erreichen wir E." Sie presst ihren Rücken an die Wand, ihren völlig schmerzfreien Hintern. Noch, noch ist das so. Merkwürdig, denkt Johanna. Ich bin so ruhig. Sie ist weder besonders aufgeregt, noch fickt ihr der Wahnsinn mal wieder das Hirn durch. Diesen Wahnsinn hat sie längst hinter sich gelassen. In den schlaflosen Nächten der letzten Tage. Sie wartet einfach. Wie immer kurz vorher fast leer, ohne großartige Gedanken. Sie betrachtet die Welt und kann doch schon jetzt keine wirkliche Verbindung zu ihr herstellen. Eine fremde Welt. Johanna ist bereits an einem anderen Ort. Der Weg aus dem Bahnhof ist ihr inzwischen so vertraut, dass sie auch hier nicht denken muss. Vor der Tür zieht Johanna das Handy aus der Manteltasche. Sie läuft zum Parkplatz und wählt die Nummer noch bevor sie ihn erreicht hat. Sie weiß, er wird nicht da sein. Diesmal nicht. Sie weiß es, bevor sie es sieht. Es tutet ein paar Mal, dann seine Stimme. Wie erwartet: hart, nicht freundlich. „Muss ich da sein? Warte! Du hast ...
    schon wieder keine Geduld." Ausgeliefert. Dieses Gefühl kommt augenblicklich bei ihr an. Sie hat diese Härte erwartet, aber jetzt so direkt damit konfrontiert zu sein, lässt ihren Atem schneller werden. Für einen kurzen Moment kämpft sie gegen die aufsteigende Panik. Ich bin auf einem Bahnhof, denkt Johanna. Es gibt immer Züge, die mich von hier wegbringen können. Will ich das? Was verdammt habe ich hier verloren? Bilder in ihrem Kopf ziehen an ihr vorüber wie die Autos, die sie zu zählen beginnt, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie sieht seine Augen, blitzende Eiskristalle, ein müdes Gähnen, ein spontanes Lachen in seiner Küche, seine Hände sie haltend und blitzschnell über den Tisch in ihr Gesicht treffend. Die Luft riecht nach ihm. Sie spürt seine Nähe, wittert ihn förmlich. Erregung erfasst sie und wie zum Zeichen, dass sie bereit ist, löst Johanna die Uhr an ihrem Handgelenk und steckt sie in die Tasche. Hier zählt nur seine Zeit. Den Blick gesenkt steht sie am Straßenrand. Ein Mann spricht sie an: „Wo geht's hier zur Altstadt?" Johanna lächelt ihn an und sagt: „ Ich bin nicht von hier." „ Zum Glück " sagt er und geht weiter. Kurz darauf hält er zwei junge Frauen an, die im dörflichen Gothik - Schlampenlook gekleidet sind und ihn keines Blickes würdigen, während sie nur kurz mit der Hand Richtung Straße winken. „Die sind von hier." ruft er Johanna fröhlich über den Vorplatz zu und macht eine eindeutige Handbewegung vor seinen Kopf. Johanna muss lachen. Da sieht sie ihn. ...
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