1. Gerlinde - Teil 1: Erwachen


    Datum: 29.12.2016, Kategorien: Reif,

    störte mich nicht mehr. Eher schon ganz im Gegenteil, um ehrlich zu sein – denn seine Ausdünstung war eher schon in einen nachhaltigen unguten Körper­geruch über gegangen, der bei Anstrengung erst recht übel roch, um nicht gleich zu sagen: stank. Ich kompensierte dies alles mit mehr Finger- und Handarbeit, um es so zu sagen. Damit kam ich für meine damals angedachten Bedürf­nisse leicht über die Runden. An anderes, an eine Affäre oder aber das, was ich nun ein wenig später in Berlin so wie selbstverständlich tat, konnte ich damals nicht einmal denken. Nein – das waren gar nicht so sehr moralischen Begründungen, die mich davor abhielten, sondern … wie schon gesagt: der Gedanke kam nicht einmal auf. Mit nicht ganz sechzig wurde ich Witwe. Heinrich bekam, so wie die Ärzte gewarnt und angekündigt hatten, einen Schlag­anfall und starb kurz darauf, weil er sein Leben und sein Verhalten nicht im geringsten umgestellt hatte. Es mag hart klingen - aber es berührte mich nicht tiefer, denn in Wirklichkeit hatten wir zuletzt nur noch nebeneinander gelebt und längst nicht mehr miteinander. Damit war nicht nur das sexuelle zu verstehen, das es nicht mehr gab, sondern wir gingen ja auch nicht aus dem Haus, der Fernseher glühte und das war schon alles – gelegentlich dann Besuch von Freunden, wo geraucht und gesoffen und getratscht wurde. Und das war es dann – game over … im wahrsten Sinn des Wortes. Ich bekam eine gute Witwenrente und konnte jetzt machen, was ich wollte. Um ehrlich zu ...
    sein, ich war noch nie so ausgeglichen und zufrieden wie zu dieser Zeit. Dass ich dann, fast in einer Nacht- und Nebelaktion beschloss, das Haus aufzugeben und meinen Heimatort zu verlassen, an den ich niemals die richtig innige Bindung gespürt hatte, verwunderte viele. Mich vielleicht sogar am meisten, aber es war so wie eine Vision gewesen, dass ich diesen letzten Schritt tun müsste, um nicht einfach bei lebendigem Leib in dem Kaff zu verwesen und weiter Trübsal blasen und Fernsehen und nichts tun. Von dem Geld, was ich hatte und dem Verkauf des Hauses und eben wie gesagt der Pension meines Mannes und den Nebenver­diensten, die ja in Berlin erst recht viel besser honoriert wurden, konnte ich so viel besser und angenehmer leben, als ich mir je vorge­stellt hatte. Und dann kam auch das hinzu, was ich erst langsam genießen musste, wie ein Tier, das wieder in freie Wildbahn und Freiheit ausge­lassen wurde, nachdem es Jahrelang in Pflege und Obsorge gestanden war. Freiheit – und Möglichkeiten, alles zu tun, wozu ich niemanden auch nur im geringsten Rechenschaft ablegen musste. Ja nicht mal im Tratsch und Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, was bei uns daheim ja so üblich war … diese Gerüchte, die so lange beharrlich kursierten, bis sie irgendwann dann groteskerweise doch immer einen Funken an Wahrheit enthielten. Aber nun zu meiner Geschichte, die in Berlin erst so richtig ins Laufen kommt, denn das bisherige Geplänkel ist ja nicht das, was sich der geschätzte Leser / die werte ...
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