1. Der außergewöhnliche Mitreisende


    Datum: 15.08.2018, Kategorien: Voyeurismus / Exhibitionismus,

    völlig ohne Worte verstehen. Ich schließe die Augen, um mich nun wieder den Berührungen der jungen Männer hinzugeben. Obwohl ich genau weiß, dass dies die Empfindungen der letzten Augenblicke nur verwässern würde. Doch als perfekter Regisseur hat der Herr den Höhepunkt des Ereignisses genau zur rechten Sekunde stattfinden lassen. Aus dem Lautsprecher ertönt die Stimme des Zugchefs: „Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Berlin-Spandau." Fast schlagartig kehrt in unserem Abteil die Normalität zurück. Der Soldat befreit meine Arme, die ich aufseufzend sinken lasse. Ich kann meine Hände kaum noch spüren. Wie lange mag ich so gesessen haben? Es müssen Stunden gewesen sein! Und doch erschien mir die Zeit so kurz! Stunden, wie ich sie noch nie in meinem Leben erlebt habe und vielleicht auch nie wieder erleben werde. Während die jungen Männer sich hinsetzen, steht der Herr auf und holt mein sorgfältig zusammengelegtes Kleid herunter. Als er es mir reicht, beschließe ich, dass ich es heute zum letzten Mal trage. Ich werde es künftig nie wieder anziehen, sondern als Erinnerung über mein Bett hängen. Aber heute, zu diesem Tag, zu dieser Reise, gehört auch dieses Kleid. Während ich mich wieder anziehe, schauen die jungen Männer peinlich berührt weg. Die Blicke des Herrn folgen offen meinen Bewegungen, ohne jedes Anzeichen von Scham. Der Zug wird langsamer und der Soldat in Zivil greift nach seinem Rucksack. Er steigt in Spandau aus. Wir anderen bleiben noch die wenigen ...
    Minuten bis Hauptbahnhof zusammen. Keiner sagt ein Wort. Es wird auch niemals jemand ein Wort erzählen über das, was wir heute hier zusammen erlebt haben. Der Physikstudent und der Soldat heben gemeinsam meinen Koffer aus der Ablage. Da die Männer mir den Vortritt lassen, verlasse ich das Abteil als erste. Ein höfliches „Auf Wiedersehen", ist alles, was ich zum Abschied sagen kann. Es gibt Gefühle, die man unmöglich mit Worten ausdrücken kann. Ich gehe durch den Gang zur Tür und sehe mich um. Hinter mir die beiden Studenten, dann der Soldat, ganz hinten, hinter einigen fremden Leuten, der Herr, korrekt in seinem grauen Anzug, offen freundlich, ganz am Ende der Schlange von Leuten, die es nach der langen Fahrt kaum erwarten können, den Zug zu verlassen. Merkwürdig, ich wäre gerne noch länger im Zug geblieben und würde sofort mit dem Herrn wieder zurückfahren. Der Zug hält. Die Studenten heben meinen Koffer auf den Bahnsteig. Ich lasse mir Zeit und bleibe nach wenigen Schritten auf dem Bahnsteig stehen. Ich möchte, dass der Herr noch einmal an mir vorbeigeht, will noch einmal sein Gesicht sehen, einen vertrauten Blick mit ihm wechseln. Will nur noch ein einziges Mal seine wundervolle Ausstrahlung spüren. Aber wo ist er geblieben? Ist er gar nicht ausgestiegen? Aber er war doch auch mit seiner Tasche aus dem Abteil gekommen. Unkonzentriert irre ich über den Bahnsteig. Der Zug ist schon weitergefahren. Er muss schon längst weitergegangen sein. Es sind kaum noch Menschen auf dem ...
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