-
Abschluss
Datum: 18.06.2018, Kategorien: Reif,
Obwohl sie als Sekretärin in einem kleinen Betrieb für Schiffsausrüster nicht gerade viel verdiente, fehlte es uns an nichts. Sogar eine jährliche Urlaubsreise, meist nach Österreich in die Berge, gehörte zu unserer Lebensführung. Die Beschreibung meines damaligen Lebens mag nach kleinbürgerlich-langweiligem Mief klingen. Dem war nicht so. Die Tante hatte eine wundervolle künstlerische Ader. Wenn sie nur im Türrahmen auftauchte, schienen leise Töne durch den Raum zu schweben. Es breitete sich sogleich eine wunderbare Wiesenlandschaft vor mir aus. Das war kein Auftritt auf der Bühnenrampe, sondern mehr ein elfengleiches Einherschweben. Mich hat diese Wesensart von Anbeginn sehr gerührt. So kann es nicht Wunder nehmen, dass ich schon sehr bald mit dem Geigenspiel begann. Mit der Tante besuchte ich fortan regelmäßig Theater- und Konzertaufführungen. Das Deutsche Theater war mir ebenso vertraut wie die vielen kleinen Etablissements auf der Reeperbahn, in denen Kleinkunst, Kabarett und andere zauberhafte Dinge dargeboten wurden. Dienstag Meine Tante Mechthild war wunderbar. Vor allem wurde sie in der Öffentlichkeit stets von männlichen Blicken umschmeichelt. Ihr tat das ausnehmend gut. Ihr Antlitz strahlte. Man konnte sogleich die selbstbewusste Würde an ihren blitzenden Augen und dem unverkennbaren Ruck erkennen, der sich durch ihren schlanken Leib zog. Aber sie blieb wie immer distanziert. Hin und wieder ließ sie sich von Unbekannten in der Theaterpause zu einem Gläschen Sekt ...