1. Die Violinistin und die Bassistin


    Datum: 13.01.2017, Kategorien: BDSM,

    können. Ich hätte mich angelogen fühlen können. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie nicht mich anlog, sondern ihren Interviewer, ihre Lehrer, ihre Eltern, das Management und die Zuschauer. Wusste ich mehr über sie als alle anderen Menschen auf der Welt? Das schmeichelte mir für einen Augenblick, bis ich merkte, dass sie natürlich auch mich belog. Sie schien zu niemandem so richtig ehrlich zu sein. Zu mir vielleicht etwas weniger unehrlich als zu anderen. War das schon eine Auszeichnung? Ich wusste es nicht. Das Interview wurde unterbrochen. Dann wurde sie mit ihrer Familie gezeigt. Ich sah zum ersten Mal ihre Eltern, die darüber schwärmten, wie stolz sie auf Joelles Erfolge waren. Sie waren mir zutiefst unsympathisch in ihrer hölzernen und arroganten Art, und ich fand in ihren Bewegungen und ihren Worten eine Reihe von Eigenschaften, die sich auch Joelle angeeignet hatte. Sie wurde einige Male mit Ann Sophie Mutter verglichen. Joelle wäre die neue Ann Sophie Mutter oder die spirituelle Nachfolgerin oder die geistige Tochter. Die Begriffe tauchten alle auf. Es waren Zitate von scheinbar bekannten Kennern der klassischen Musik. Ich kannte keinen davon. Den Namen Ann Sophie Mutter hatte ich schon einmal gehört, aber ich musste ihn googlen. Wikipedia sagt, dass sie eine deutsche Geigerin ist und zu den erfolgreichsten Musikerinnen weltweit gehört. Okay, das waren große Fußstapfen, in die man Joelle stellte. Ich konnte gut verstehen, dass da eine Menge Druck auf ihr lag. Das ...
    wäre so, als würde man mich als Bassistin mit Paul McCartney zusammen erwähnen. So von wegen erfolgreichste Bassistin weltweit. Niemand käme auf diese Idee. Ich war einfach nur eine von Millionen Bassistinnen auf der Welt. Joelle aber war etwas Einzigartiges. Eine neue Hoffnung. So wie auf Luke Skywalker als letztem Jedi-Ritter die Verantwortung für die gesamte Galaxie lag, lastete auf Joelle die Hoffnung der Violinenmusik. Ich wollte nicht gerne in ihren Schuhen stecken, obwohl ich ganz nebenbei auch gerne Prinzessin Leia geküsst hätte. Während des Interviews versuchte sie immer wieder diese Hoffnungen herunterzuspielen. Der unbedarfte Zuschauer hätte das vielleicht als Bescheidenheit gedeutet, aber ich glaubte, Joelle etwas besser zu kennen. Meiner Meinung nach wollte sie dieses Etikett wirklich nicht. Sie wollte etwas anderes. Sie hatte mal vorgeschlagen, dass wir uns verkleiden sollten und in der Fußgängerzone spielen sollten. Sie Violine, ich Kontrabass. „Meinetwegen spiele ich auch Gitarre! Ich bin mittlerweile echt ganz gut geworden und spiele immer, wenn ich keine Lust habe, die Violine zu üben. Es ist meine Form der Rebellion!" „Deine Form der Rebellion? Als du die Gibson gekauft hast, hast du mir erzählt, dass dein Lehrer dir geraten hat, ein anderes Instrument zu spielen!" „Ach, das war gelogen! Bist du wahnsinnig! Die lassen mich nichts anderes spielen. Die sagen, so lange ich dies und das noch nicht kann, ist überhaupt nicht daran zu denken. Allenfalls darf ich ...
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