1. Gerlinde - Teil 1: Erwachen


    Datum: 29.12.2016, Kategorien: Reif,

    wissen und sich erinnern zu können, warum es dort vielleicht ein klein wenig zwickte und zwackte. Denn jedes dieser kleinen Leiden war mit geilsten Erinnerungen und Handlungen verbunden. Ganz so, als ob eine jede kleine Sünde ja sofort vom lieben Gott mit Strafe belegt werden würde … oh ja, grinste ich auf ein neues: Da hatte er ja gestern wahrlich Überstunden einzulegen gehabt mit mir. Und eigentlich ja nicht nur gestern, sondern schon das ganze Monat lang. Wie also hatte das alles begonnen und wie konnte das nur weiter gehen … * * * * * * * * * * * Vielleicht ist spätestens jetzt auch an der Zeit, dass ich mich den geschätzten Lesern (und natürlich auch Leserinnen, die ja meistens in der Min­der­heit sind) vorstelle. Mein Name ist Gerlinde Dvorak, geboren 1954 – wobei Gerlinde schon mein wirklicher Vorname ist und der Familienname eigentlich nichts zur Sache tut. Ich könnte ja Dvorak oder Huber oder Maier anführen, egal – er wäre ja ohnehin genauso gelogen wie der eine oder der andere. Und das Geburts­jahr – nun denn, man fragt ja Frauen nicht danach … auch egal, aber im wesentlichen stimmt es schon, dass ich zum Zeitpunkt der Geschichte sehr genau sechzig war- Wenigstens aber deute ich damit an, dass böhmische-tschechische Wurzeln dahinter sind: bei mir gleichermaßen wie bei meinem Mann. Und dass ich nicht in unserer eigentlichen Heimat geboren wurde, sondern dass wir hatten in den Kriegswirren und Repressalien hatten fliehen müssen, Haus und Hof verlassen und irgendwo im ...
    Norden von Bayern dann uns niederließen. Mit im wahrsten Sinn des Wortes nichts außer dem, was meine Eltern auf der Haut trugen … mehr war nicht zu retten gewesen, außer das nackte Leben. Aber mehr will ich über Politik und Gerechtigkeit, Benesdekrete hin und her, gar nicht sagen. Der Sieger schreibt die Geschichte und bestimmt die Regeln. Und was meine Eltern in der Nähe von Karlsbad besessen hatten, in deren Güter hausten dann über Jahr­zehnte hinweg die Kommunisten … ich habe es mir auch nie angetan, je darüber nachzudenken, wie ich an das doch beträchtliche Ver­mögen und Landgut wieder herankommen würde. Schluss darunter gezogen und sich eben geschworen, nie mehr dem nachzu­gehen und auch nicht in der Gegend je zu sein, das war meine Konse­quenz ge­wesen … aber wie gesagt: ich war ja zu den Zeiten noch nicht einmal ge­boren, hatte das alles von vielen wehmütigen und auch erbosten Erinnerungen dann immer wieder nur gehört. Aber, ich sehe schon, ich lenke ab – das, so denke ich, interessiert ja die meisten Leser und Leserinnen meiner Geschichten weniger als das, was ich in den letzten Wochen und Monaten getan und geändert hatte in einem ansonsten ganz banalen und einfachen Leben. Und dass ich in Berlin wohne, mag stimmen oder auch nicht, es tut auch nichts zur Sache, wie es so schön heißt. Denn aufgewachsen, so kurz nach dem Krieg, bin ich ohnehin auf dem Land – in einer Familie, die als sehr katholisch galt. Damit ist nicht fanatisch in dem Sinn gemeint, dass ein anderer ...
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