1. Der Kirschbaum - plötzlich Farbe


    Datum: 18.02.2018, Kategorien: Erstes Mal,

    Der Kirschbaum Richard hatte sein all-in-one-Zimmer genau einen Stock über jenem von Ildikó und ihrem Mann. Und im Zuge der Verkabelungs­vor­bereitungen für eine Antenne, die am Dach angebracht worden war, war dann auch ein Schacht durch die Mauern der Häuser gelegt worden, selbst wenn es niemals zur Diskussion gestanden war, dass Richards Eltern sich solch einen Televisor leisten konnten oder auch aufstellen wollten. Karins Eltern schienen da anderer Meinung zu sein und würden auf solch einen Flimmerkasten sparen, wie sich später auch als Tatsache her­aus gestellt hatte. Durch die Leerverrohrung dieses Kabelschachtes konnte man sehr gut kommunizieren, wenn man die Abdeckungsklappen und Watte­bau­schen entfernte. Das hatten Karin und Richard schon lang ent­deckt und oft genug auch noch im Bett liegend, über diese Lei­tungs­möglichkeit getuschelt und sich Geschichten erzählt - dann aber wurden unten die Zimmer umgestellt und mit einem Mal war das Schlaf­zimmer der Eltern solcherart über den Kanal verbunden. Die Kommunikation mit Karin war damit un­gewollt und unwissend abgeschnitten worden, nicht aber die Möglich­keit, immer noch zu lauschen und Dinge zu hören. Und so musste Richard quasi naiverweise zugeben, dass er eine Art von Streit auch oft genug bestätigen konnte, denn gelegentlich hörte er über diesen geöffneten Kabelkanal Ildikó sehr laut stöhnen und sogar immer lauter werden, obwohl Manfred meinte, sie müsse leiser sein, da sie sonst mit ihrem Lärm alle wecken würde. ...
    Und die vielen Jas, die Richard dabei immer schneller aus ihrem Mund zu hören glaubte, die ließen ihn aber dann doch verwun­dern: Offenkundig war Ildikó dieser Ausprägung von Streit oder sogar Kampf nicht so abgeneigt, wenn sie dem Ge­schehen sogar mit oftmaligem »Ja« zustimmte. Ganz so schlimm konnte es also nicht sein, was da seine Mut­ter vermutet hatte - aber wie gesagt: Richard hatte auch nur einen aus dem Zusammenhang gerissenen Gesprächs­fetzen gehört und daraus seine Mutmaßungen abgeleitet. Und dass es die Bettfedern waren, die da so oft rhythmisch schwangen und diesen prägnanten Ton von sich gaben, das fiel ihm erst später wie die berühmten Schuppen von den Augen, geschweige denn wer sie mit welcher Absicht so in Schwung gesetzt hatte und woher auch das dumpfe Geräusch kam, als würde jemand mit einem breiten Holzteil, der Stirnseite des Bettes vielleicht sogar, gegen die Wand klopfen. Und da es weder in der Schule noch im eigenen Elternhaus so etwas wie ernsthafte Aufklärung gegeben hatte (oder in anderen Worten - wenn ihr was wissen wollte, dann fragt doch einfach...) war sein dies­be­züg­licher Wis­sens­stand wohl auf einem erschreckenden Volksschulniveau aus heu­ti­ger Sicht, um nicht zu sagen eher sogar noch: Kindergarten­ab­gänger im besten Fall. Damals aber war gerade am Land dieses eklatante Unwissen durchaus üblich und was Richard so alles hörte und mit­be­kam, war er sicherlich nicht der einzige, der zwar nicht direkt an den be­rühm­ten Storch glauben konnte ...
«1234...21»