1. Vorstadtaffären


    Datum: 03.02.2017, Kategorien: Erotische Verbindungen,

    In regelmäßigen Abständen durchdrang das Geräusch des Spechts, der unter der Rinde einer Kastanie nach Insekten suchte, die Stille der Vorstadt. Fasziniert beobachtete Chris, wie der eifrige Vogel Zentimeter für Zentimeter des Baumes nach Nahrung absuchte, dazwischen innehielt und seinen schön gezeichneten Kopf herumwandern ließ, ganz so als ob er nicht den Überblick über das Herum verlieren wollte. Seit mehr als zehn Minuten saß er nun schon da und starrte hinüber auf das Grundstück vor ihm. Dann gab er sich endlich einen Ruck und stieg aus dem Wagen. Ein kurzer Druck ließ das Geräusch der Klingel nach draußen schallen. Keine Reaktion. Noch einmal. Wieder nichts. Chris griff in seine Manteltasche und schob gleich darauf einen Schlüssel ins Schloss. Er passte und ließ sich widerstandslos drehen. Er spürte wie ihm heiß wurde als er das Gartentor öffnete. Wenige Schritte später wiederholte sich das Spiel am Eingang. Er schritt schnell hindurch und schloss die Tür hinter sich. Seine Hände waren nun schweißnass und sein Herzschlag dröhnte laut in seinen Ohren als er in die Dunkelheit vor sich stierte. In seine Nase stieg der Geruch von Leder und Schuhpaste. Er tastete nach dem Schalter und gleich darauf ergoss sich das Weiß des elektrischen Lichts in die Diele. Zum ersten Mal seit beinahe 20 Jahren sah er nun ins Innere des Hauses, das einst sein Heim gewesen war. Bis zu jenem Tag als er gemeinsam mit seiner Mutter fort ging um nie wieder zurückzukommen. Langsam drang er weiter ...
    vor. Nur wenig hatte sich seit damals verändert. Im Wohnzimmer stand ein neuer Fernseher, in der Küche eine Espressomaschine. Ansonsten all die alten Möbel, die mittlerweile großteils jenseits jeder jemals angedachten Nutzungsdauer waren. Vorsichtig stieg er hinauf in den ersten Stock, stieß die Tür auf, die seinerzeit in sein Zimmer führte. Ein Schwall abgestandener Luft schlug ihm entgegen und er starrte in den einmal so vertrauten Raum. An den Wänden noch immer die mittlerweile verblassten Poster der „Ärzte", im Schreibtisch und in den Schränken all die Habe, die er hier zurücklassen musste. Chris spürte einen Kloß in seinem Hals als die hässlichen Erinnerungen an seine Kindheit urplötzlich an die Oberfläche drangen. An den Vater, der ihn und die Mutter immer verprügelt hatte, wenn ihm der Alkohol zu Kopf gestiegen war. Irgendwann war es dann einfach zu schlimm geworden und während der Vater seinen Rausch ausschlief, packten sie ihre Sachen und verschwanden. Kein einziges Mal hatte er ihn seitdem gesehen oder gesprochen. Auch als die Mutter vor einigen Jahren starb, waren sie einander nicht begegnet. Chris wusste nicht einmal ob er von ihrem Tod erfahren hatte. Er hatte ihn völlig aus seinem Leben und seinem Gedächtnis gestrichen gehabt, bis er heute den Brief geöffnet hatte, in dem ihn der Notar zur Abhandlung der Verlassenschaft des Alois Brandtner einlud. Gestorben mit 57, woran, das wusste er noch nicht. Chris hatte nach dem alten Schlüsselbund gekramt und war hierher ...
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