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Cordoba
Datum: 22.08.2017, Kategorien: 1 auf 1,
"Kleines? Könntest du mir eine Flasche Bier mitbringen, bevor das Match beginnt?", fragte Rosalind und klappte den Laptop zu. Der Artikel für ihre wöchentliche Kolumne in der Zeitung Weiberwirtschaft war fertig. Über eine Winzermeisterin hatte sie geschrieben und deren Liebe zum Wein. Aber jetzt gab es keinen Wein. Jetzt gab es Fußball, und Fußball bedeutete Bier. Bier, Erdnüsse und Zeit fürs Zehennägel Lackieren. Sie schnalzte mit der Zunge, als ihr Mann mit zwei Flaschen und einer Schale Erdnüsse ins Wohnzimmer kam. Er trug sein Werder Bremen-Trikot. Dabei gab es heute Deutschland gegen Österreich, aber das Nationaldress war in der Wäsche. Er war erst wenige Stunden vorher vom Biochemikerkongress aus Baltimore zurückgekommen. Obwohl sein Anblick sie auch nach fünf Jahren Ehe noch immer erregte, hatte sie abgewinkt, als er ihr langes dunkelbraunes Haar zur Seite legte und sie liebevoll in den Nacken biss. Der Artikel musste noch heute in der Redaktion sein. Wie immer, wenn es gegen Österreich ging, waren im Sektor mit den deutschen Fans zahlreiche Transparente mit hämischen Kommentaren zu lesen, wie: "34 Jahre nach Cordoba - Ösis frei zum Abschuss!" Oder für die noch schlichteren Gemüter: "Zeigt's den Schluchtenscheißern!" Aber Jogi Löw verkündete vor den Mikrofonen artig seinen Respekt. "Das nächste Spiel ist immer das Schwerste." Rosalind liebte solche abgedroschenen Fußballweisheiten. Sie unterstrichen den archaisch-maskulinen Charakter dieses Sports. Dabei musste ihre ...